Veranstaltung von KommAustria und RTR Medien über das Spannungsfeld zwischen Desinformation und Meinungsfreiheit
Wie komplex und professionell Hetzkampagnen, manipulative Techniken und gezielte Desinformation insbesondere im Vorfeld von Wahlen eingesetzt werden, zeigte die jüngste Podiumsdiskussion von KommAustria und RTR Medien in der Diskussionsreihe zum Digital Services Act (DSA).
Unter dem Titel: „Demokratie im Informationszeitalter: im Spannungsfeld zwischen Desinformation und Meinungsfreiheit“ diskutierten am 23. April Univ.-Prof. Mag. Dr. Matthias C. Kettemann, LL.M. (Institut für Theorie und Zukunft des Rechts an der Universität Innsbruck), Dr. Alexander Schindler („Data Science & Artificial Intelligence“, Austrian Institute of Technology/AIT), Florian Schmidt (APA-Faktencheck für GADMO), Univ.-Prof. Dr. Christiane Wendehorst, LL.M. (Institut für Digitalisierung und Recht) unter der Diskussionsleitung von Dr. Susanne Lackner (KommAustria).
Am mit hochkarätigen Expert:innen ihres jeweiligen Bereichs besetzten Podium war man sich einig: Falschnachrichten sind weder neu noch ein ausschließliches Phänomen des digitalen Raums. Irreführende Informationen werden jedoch dann zu einer besonderen Gefahr, wenn sie das Ziel haben, Menschen vorsätzlich zu täuschen oder zu beeinflussen und deshalb gezielt verbreitet werden. Damit stellen sie für den seit 17. Februar vollumfänglich geltenden DSA eine zentrale Herausforderung dar.
Einleitend gab Prof. Kettemann in seiner Keynote aus rechtswissenschaftlicher Sicht eine Annäherung an den Begriff der Desinformation und die notwendige Abgrenzung des Begriffs im Verhältnis zu illegalen Inhalten bzw. Aussagen.
Es stelle sich dabei die Frage, was online kommuniziert werden dürfe - dies im Sinne des gesellschaftlichen Zusammenhalts, kommunikativer Chancengerechtigkeit und Meinungsvielfalt - was ethisch und rechtlich zulässig sei, und ob hier die internen Regeln der Plattformen ausreichen würden.
Einige Plattformen würden zwar schon dem überarbeiteten Verhaltenskodex zur Desinformation entsprechend der Kommission berichten. Doch gemeldete Zahlen der Unternehmen seien schwer überprüfbar, deshalb sei einerseits die Arbeit von geprüften Faktencheck-Organisationen wie EDMO (European Digital Media Observatory) sowie die Überprüfung durch unabhängige Forscher:innen so wichtig.
Der DSA habe vor allem das systemische Risiko Desinformation vor Augen: „Infolge der selbst durchzuführenden Risikoabschätzung von Plattformen müssen diese Risikominderungsmaßnahmen ergreifen – beispielsweise durch Anpassung der AGB, der Empfehlungssysteme, klare Kennzeichnung der geschalteten Werbung und Verstärkung interner Prozesse des Diensteanbieters“.
Auch gebe es verschiedene Methoden, mit Desinformation umzugehen, die mit der Meinungsfreiheit vereinbar seien, nämlich durch Depriorisierung oder Demonetarisierung dieser Inhalte. Als sinnvolle Maßnahme in Hinblick auf die Gefahr von Manipulation von Wahlen, konkret in Hinblick auf die Europawahlen im Juni, bezeichnete Kettemann die an die Plattformen gerichteten Leitlinien der Kommission für die Minderung systemischer Risken für Wahlen.
Regeln für heute, um das Morgen zu retten
Mit Blick auf die Ursachen- und Gefahrenbekämpfung digitaler Plattformen wird im DSA Desinformation als „systemisches Risiko“ der VLOPs (Very Large Online Platforms, d.h. sehr große Online-Plattformen) und VLOSEs (Very Large Online Search Engines, d.h. sehr große Suchmaschinen) adressiert. Der DSA enthält für VLOPs und VLOSEs die Verpflichtung, Risikoeinschätzungen vorzunehmen und dementsprechend Maßnahmen zur Reduktion dieser Risken vorzunehmen. Auch in Hinblick auf die Integrität von Wahlen sei esein guter Zeitpunkt für den DSA gewesen, so Prof. Christiane Wendehorst. Sie wies aber, neben den Leitlinien zur Risikenminderung, gleichzeitig auf die diesbezügliche Bedeutung anderer EU-Rechtsakte, wie die Verordnung über Transparenz und Targeting politischer Werbung und den AI-Act, hin.
Betreffend der „objektiven“ Wiedergabe von Kommentaren meinte Wendehorst, einen solchen „neutralen Algorithmus“ gäbe es nur in der Theorie, man müsse einen solchen immer auf gewissermaßen „subjektive“ Parameter aufsetzen.
Das Problem der Desinformation habe sich in den letzten Jahren aus verschiedenen Gründen (COVID-19, russischer Angriffskrieg, Naher Osten, etc…) drastisch verschlimmert. Bestimmte Online-Communities seien auch nicht mehr von verifizierten Fakten zu überzeugen, man müsse sich auf jene Personengruppen konzentrieren, wo noch Potential bestehe, diese mit Fakten zu überzeugen. „Darüber hinaus sehen sehr unterschiedliche Modelle, wie Plattformen mit Faktencheckern zusammenarbeiten.“, erläutert Florian Schmidt. Die Bereitschaft der Plattformen zur Zusammenarbeit sei insgesamt sehr heterogen: Dies müsse weiter evaluiert werden. Bei diesen Europawahlen seien die Gefahren im Hinblick auf Desinformation besonders groß.
Zum Thema, ob und wie Künstliche Intelligenz der Auffindung von Desinformation behilflich sein könne, hielt Alexandler Schindler fest: Es sei schwer, ein Werkzeug – quasi einen „Fake-news detector“ für die ganze Welt – zu finden, das für alle unterschiedlichen Kontexte, Sprachen, Kulturräume funktioniere und an diese angepasst sei, dazu kämen die unterschiedlichen Gesellschaftsstrukturen. Am Ehesten funktioniere dies noch bei „Deep Fakes“. Hierbei sei auch zu beachten, dass es im Bereich generativer KI fast täglich neue Entwicklungen gebe, insofern hinke man in gewisser Weise immer hinten nach.
In jedem Fall, so die einhellige Meinung des Podiums, seien dringend entsprechende Weichen zu stellen, damit sich Desinformation nicht mehr rechne und so rasend schnell verbreite. Die Maßnahmen des DSA und der Leitlinien für die Minderung systemischer Risiken für Wahlen, sowie die Zusammenarbeit innerhalb der EU, einschließlich jener der Kommission mit den Koordinatoren für digitale Dienste im Rahmen des aus den Koordinatoren für digitale Dienste bestehenden DSA-Gremiums für digitale Dienste, seien daher essentiell.
Hinweis: Am 21. Mai findet die nächste Informationsveranstaltung zum Thema DSA statt, dann über den Zugang von Forscher:innen zu Plattformen.
Am 24. April lud die EU-Kommission im Vorfeld der Europawahlen die nationalen Koordinatoren für digitale Dienste (DSC) und Stakeholder, nämlich Vertreter:innen der Plattformen und der Zivilgesellschaft, zum „Stresstest“ nach Brüssel. Um den Ernstfall gezielter, koordinierter Maßnahmen der Desinformation im Netz zu proben, wurden verschiedene Szenarien durchgespielt, wie beispielsweise Manipulationen durch koordiniertes, bewusstes Ausspielen falscher Informationen über die Wahlen oder koordinierte Aufrufe zur Gewalt. Seitens der KommAustria nahm deren stellvertretende Vorsitzende, Dr. Susanne Lackner, teil.
Die Europawahlen 2024 sind die ersten EU-Wahlen, die nach dem vollständigen Inkrafttreten des DSA stattfinden werden. Die Leitlinien für die Minderung systemischer Risiken für Wahlen der Kommission für die Anbieter von VLOPs (Very Large Online Platforms, d.h. sehr große Online-Plattformen) und VLOSEs (Very Large Online Search-Engines, d.h. sehr große Suchmaschinen) konkretisieren dabei die von diesen zu ergreifenden Maßnahmen zur Milderung der wahlspezifischen Risiken.
Diese Übung im Rahmen des DSA war eine der verschiedenen von der Kommission ergriffenen Maßnahmen, um die Integrität der Europawahlen sicherzustellen. Die Zusammenarbeit zwischen allen relevanten Akteuren sei von entscheidender Bedeutung und soll, wie in den Wahlleitlinien dargelegt, verstärkt werden. Mit dieser Übung sollte das Zusammenwirken der verschiedenen Akteure für den Ernstfall geprobt werden.
Am 12.März 2024 fand in Wien ein Austausch zwischen den Koordinatoren für digitale Dienste KommAustria und der tschechischen Behörde Český Telekomunikační úřad (CTU) mit dem Ziel statt, die Zusammenarbeit als benachbarte Koordinatoren für Digitale Dienste (DSC) nach dem DSA vorzubereiten und zu besprechen. Im Rahmen dieser Gespräche konnte die KommAustria/RTR Medien den Kolleg:innen aus der tschechischen Republik auch schon einige Erfahrungswerte mitteilen, da die KommAustria nicht nur schon als Koordinator für digitale Dienste für Österreich eingesetzt wurde, sondern auch bereits als solcher intensiv operativ tätig ist. Die CTU wurde in der Tschechischen Republik zwar schon als DSC benannt, der parlamentarische Prozess zur Umsetzung ist aber in ihrem Land noch im Gange und wird vermutlich noch einige Monate in Anspruch nehmen, berichtete Kryštof Kučmáš, Officer der „Specialized Agenda Supervision Unit“ der CTU.
Besprochen wurden im Rahmen dieser Arbeitssitzung folgende Themen:
Aufbau und Organisationsstruktur eines Teams zur Durchsetzung der DSA-Bestimmungen, Anforderungen an die neuen Arbeitsbilder innerhalb der Behörden, Techniken zur effizienten Beweissicherung, Identifizierung der Vermittlerdienste, die in den Geltungsbereich des DSA fallen, einschließlich der Auslegung der entsprechenden Definitionen des DSA, Vorbereitung auf die künftigen Zertifizierungsprozesse für Trusted Flagger, Streitbeilegungsstellen und Forschungsprojekte, Entwicklung einer robusten Durchsetzungsarchitektur für Infrastrukturdienste, effektive Kommunikationsstrategien, die sich sowohl an die breite Öffentlichkeit wie auch die dem DSA unterliegenden Stakeholder richten und gegenseitiger internationaler Informationsaustausch bzw. Koordinationsmechanismen zwischen den 27 Koordinatoren für digitale Dienste.
Der DSA macht aus seiner Rechts- wie auch seiner „Governance“-Struktur heraus internationale Zusammenarbeit unumgänglich. In den Vergangenheit traf die KommAustria/RTR Medien auch mit den deutschen Kolleg:innen der Bundesnetzagentur (BNetzA) zusammen, weitere Treffen sind geplant: eine Koordination zwischen den zwei Behörden ist in Hinblick auf den gleichen Sprachraum etwa durch die Nutzung deutscher Vermittlungsdienste in Österreich oder etwa gemeinsamer Forschungsvorhaben Deutschland/Österreich unumgänglich.
Am 25. April 2024 fand in Brüssel eine weitere Sitzung des Gremiums unter Vorsitz des Generaldirektors der GD CONNECT, Roberto Viola, sowie seiner Stellvertreterin Renate Nikolai statt. Es fand ein Austausch über die Leitlinien der Kommission für die Minderung systemischer Risken für Wahlen und den am Vortag durchgeführten Stresstest statt. Weiters berichtete unter anderem die Kommission über laufende Anfragen an die sehr großen Plattformen (VLOPs), insbesondere hinsichtlich der Nutzung generativer KI auf bzw. durch diese Dienste sowie über die Designierung des chinesischen Online-Marktplatzes Shein als sehr große Online-Plattform. Weiters wurde mitgeteilt, dass ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Nicht-Benennung eines Koordinators für digitale Dienste bzw. deren entsprechenden gesetzlichen Bevollmächtigung gegen Zypern, Tschechien, Estland, Polen, Portugal und die Slowakei eingeleitet wurde.